Die bauliche Anpassung von Bestandsstrukturen an veränderte gesellschaftliche Interessen und Nutzungsbedürfnisse ist eine Entwicklungskonstante in jedem baukulturellen Kontext weltweit. Indem die geplante Tagung von der These ausgeht, dass Umbauten als Reaktionen auf gesellschaftliche Umbrüche und Krisen verstanden werden können, wird eine neue Perspektive auf die Fragestellung eröffnet. Der Vergleich von Umbauprojekten, die zu unterschiedlichen Zeiten, aber unter ähnlichen Transformationsbedingungen konzipiert oder verwirklicht wurden, bietet die Aussicht, Muster nachvollziehen sowie Modelle diskutieren zu können, und er erschließt das Thema für eine systematische theoretische Auseinandersetzung.
Jedoch kommt dem Thema unter den gegenwärtigen Produktionsbedingungen von Architektur sowohl für die Vergangenheit als auch für Gegenwart und Zukunft eine spezifische und aktuelle Bedeutung zu: Denn während die Praxis des Umbaus vor dem 20. Jahrhundert als meist längerfristiger Prozess eine schlichte ökonomische, bautechnische und gesellschaftliche Notwendigkeit war, ist diese Kontinuität baulicher Umwandlungsprozesse seit spätestens der Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem bis heute anhaltenden Druck der Realisierung einer gebauten Umwelt nicht mehr gegeben.Angesichts dieses singulären architekturgeschichtlichen Bruchs stellt die hier entwickelte systematische Perspektive Strategien zur Diskussion, für die in Aussicht steht, dass sie sich zu Lösungsansätzen für gegenwärtige und zukünftige Fragestellungen weiterentwickeln lassen. Für die Untersuchung interessieren aus einer historischen Perspektive bis in die unmittelbare Aktualität hinein besonders jene Gesellschaftsbedingungen, in denen krisenhafte Entwicklungen Umbau und Umnutzung besonders aktuell gemacht haben. Die historische und theoretische Reflexion hat auch im Kontext aktueller Debatten, besonders zur Genderthematik und/oder Eurozentrismus, zu erfolgen.
Ziel der Tagung ist es, das Thema des Umbaus über die Relevanz des Einzelbaus hinaus für die gebaute Umwelt von den geschichtlich-gesellschaftlichen Transformationsprozessen her zu bearbeiten. Es ist beabsichtigt, zu methodisch verallgemeinerbaren Aussagen in den verschiedenen Dimensionen des Themas zu gelangen und damit einen Beitrag zur gegenwärtigen Umbaudiskussion zu leisten. Damit wird darüber hinaus die Absicht verfolgt, die ebenso notwendige wie aktuell dominierende baupraktische, d.h. primär technisch-konstruktive, Auseinandersetzung mit dem Umbauthema zu erweitern und sie kritisch zu reflektieren.
Die vorgeschlagenen Sektionen sollen es ermöglichen, historisch-theoretische und produktionsrelevante Fragestellungen zu integrieren.
I. Zwischen Statement und baulicher Evolution
Das Panel widmet sich der Historie des Umbaus, die im Zusammenhang der jeweiligen Gesellschaftskontexte untersucht wird. Neben einer Geschichte des selbstverständlichen, den Bedingungen der Subsistenzgesellschaft folgenden Weiterbaus sollen auch architektonische Konzeptionen berücksichtigt werden, die auf eine direkte Konfrontation von alt und neu setzen. Die Potentiale, die Interventionen im Bestand bieten, sollen dabei auch mit den destruktiven Aspekten der baulichen Überformung kontrastiert werden.
II. Typologie und Markt
Durch die Transformation von Bestandsgebäuden können Räume entstehen, die sich in Neubauten nicht finden lassen. Dem stehen oftmals höhere Kosten gegenüber. Indem Umbauten aber über die normativen Lösungen der Bauwirtschaft hinausweisen, versprechen sie zugleich ungeahnte Raumangebote, die wiederum auf dem Immobilienmarkt in Anschlag gebracht werden können.
III. Planungsprozesse
Galt der Neubau bislang als Domäne der Architekt:innen, oblag der Umgang mit Bestandsbauten der Denkmalpflege. Sowohl durch die Umformulierung eines prozesshaft gedachten Denkmalbegriffs als auch durch die neue Konjunktur des Umbaus, der bislang als Entwurfsaufgabe zweiter Klasse galt, muss diese Arbeitsteilung hinterfragt werden. Für das Konzept der Autor:innenschaft ist dieser Wandel ebenso folgenreich wie für das Berufsbild der Architekt:innen und für die Arbeitsstrukturen der Architekturbüros.
IV. Produktionsprozesse
Während digitale Instrumente die Erfassung von Bestandsbauten vereinfachen, gewinnen auch traditionelle Handwerkstechniken im Bemühen um passgenaue Lösungen an neuer Relevanz. Ebenso können sich die Nutzer:innen als Gestalter:innen engagieren. Können historische Beispiele, auch aus der jüngeren Vergangenheit, hier als Referenz dienen, erscheint es immer entscheidender, dass dabei auch den drängenden ökologischen Fragen Rechnung getragen wird.
V. Material
Mit der Hinwendung zum Bestand geraten auch Fragen nach Ressourcenverwendung, Reparatur und Recycling verstärkt in den Fokus. Wesentlich ist dabei die umfassende Kartierung der verbauten Materialien. In der Annahme, dass ein Gebäude nicht länger für eine Lebensdauer von 50 Jahren errichtet wird, sondern allein den Ausgangspunkt für nachfolgende Adaptionen darstellt, sollen Stoffkreisläufe ebenso behandelt werden wie Fragen nach Dauerhaftigkeit und Wandelbarkeit.
Die Tagung richtet sich sowohl an Wissenschaftler:innen insbesondere aus den Feldern der Architekturtheorie, der Architektur- und Kunstgeschichte, der Denkmalpflege sowie aus den Gesellschaftswissenschaften, als auch an Vertreter:innen der Entwurfslehrstühle.
Im Anschluss an die Tagung ist die Herausgabe eines Tagungsbandes als Handbuch zum Thema geplant.
Veranstalter
Prof. Dr. Dietrich Erben, Technische Universität München, Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design
Prof. Dr. Andreas Putz, Technische Universität München, Professur für Neuere Baudenkmalpflege
Vorschläge
(max. 300 Wörter) für Beiträge (max. 30 Minuten) sowie einen kurzen Lebenslauf werden erbeten bis zum 10.07.2023.
Bitte senden Sie die Unterlagen an folgende E-Mail-Adresse: erben(at)tum.de.
Die Auswahl der Beiträge und die Benachrichtigung erfolgen bis zum 24.07.2023.