Es gibt Leute, die tragen ein Amt, einen Titel, eine Profession dermaßen schwergewichtig mit sich herum, dass ihre Person dahinter verschwindet. Friedrich Kurrent war das genaue Gegenteil. Er hat den Lehrstuhl für Entwerfen, Raumgestaltung und Sakralbau an der TU München über 23 Jahre dermaßen persönlich, eigenwillig und unverwechselbar geprägt, dass der Professor, ja sogar der Architekt in den Hintergrund getreten ist vor dem Temperament eines lebendigen, streitbaren, unorthodoxen Zeitgenossen, der von sich selbst zu sagen wagte:
„Ich bin nicht nur Kurrent, sondern auch mein eigener Konkurrent. So wurde ich zu dem, als den ich mich sehe: Ein verhinderter Architekt. Verhindert? Von wem? Von mir selbst. Denn: Viel ist es nicht, was ich (bisher) bauen konnte. Nur einige Häuser, Kirchen und dergleichen.“
Vielleicht kam das mit dem verhinderten Architekten auch daher, dass Kurrent so viel zu erzählen wusste und das mit größter Leidenschaft, mit Esprit und Humor betrieben hat. Seine Studenten haben ihn dafür bewundert und geliebt. Unvergessen die Exkursionen, bei denen er zur Orientierung Landkarten aus dem Zweiten Weltkrieg zu rate zog und das Brotzeiten, Plaudern und Miteinandersein kein untergeordneter Zeitvertreib war, sondern ein gleichberechtigter Austausch zum Erkunden und Erforschen.
Der österreichische Architekt und Schriftsteller Friedrich Achleitner hat ihn als „Lehrer, Aktivist, Aussteller, Entdecker, Forscher, Gründer, Kritiker, Leser, Schreiber, Urbanist, Zeichner und Retter“ bezeichnet. Kurrent, Mitglied der legendären österreichischen „arbeitsgruppe 4“, hat sich mit Verve für den Erhalt alter Bausubstanz eingesetzt, er hat Lichtplaner und Gebäudeakustiker an die Uni geholt und konnte sich für die antiken Metropolen Athen und Rom ebenso begeistern wie für das überragende Handwerk der Kunstschreiner der Wiener Schule. Und wenn er etwas baute wie die Segenskirche in Aschheim bei München – schon um das Jahr 600 war hier ein hölzerner Kirchenbau nachgewiesen -, war das ein absolutes Unikat: eine pagodenartige Holzkonstruktion mit einem schlanken spitzen Turm, eine Sehenswürdigkeit auch ein Vierteljahrhundert nach ihrer Einweihung. Ein Sakralbau, der das Sakral-Weihevolle im Äußeren zu vermeiden suchte, weil ihm an seinem inneren überzeitlichen Kern so viel gelegen war.
Was er immer bedauert, ja betrauert hat: dass der Plan seiner Synagoge am Wiener Schmerlingplatz nie verwirklicht worden ist. Viele Blätter sind davon erhalten, die zeigen, welch großartiger Zeichner Friedrich Kurrent war: „Ich zeichne, was man nicht fotografieren kann.“
Dafür hat ihn die Gestaltung und Realisierung eines anderen Herzensprojekts mit allen Fasern beschäftigt und begeistert: die Ausstellungshalle für die Kunst seiner Frau. Maria Biljan-Bilger war 1997 gestorben, 2004 konnte die Gedenkstätte ihrer Arbeit wie ihrer symbiotischen Beziehung zu ihrem Lebensgefährten eröffnet werden. In Sommerein am Fuß des Leithagebirges entstand ein langgestreckter Bau aus archaisch grob gemauerten Steinen und einer elegant geschwungener Dachkonstruktion, in dem die Skulpturen, Keramiken und Teppiche der Künstlerin ein wunderbares, kongeniales Zuhause gefunden haben.
Als ich 1996 die Nachfolge seines Lehrstuhls übernehmen durfte, blieben wir uns noch einige Jahre verbunden. Eine Erinnerung, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist, war seine Reaktion auf den Plan, den Ground Zero in New York nach dem Anschlag vom 11.September 2001 wieder zu bebauen. Er hätte sich die Wunde mitten in der Weltmetropole besser auf alle Zeit frei und unbehelligt vorstellen können. Ein ebenso fantastischer wie unrealistischer Gedanke. Ein altes Wort sagt aber: Der Fantast ist der wahre Realist.
Friedrich Kurrent hinterlässt eine Lücke, die gewiss nicht zu schließen sein wird.