Emergency Munich
Städtebauliches Entwerfen
Sommersemester 2020
Prof. Benedikt Boucsein, Daniel Zwangsleiter, Elif Simge Fettahoglu-Özgen
“I think that it is easy for us to agree that, in modernism, people are not equipped with the mental and emotional repertoire to deal with such a vast scale of events; that they have difficulty submitting to such a rapid acceleration for which, in addition, they are supposed to feel responsible while, in the meantime, this call for action has none of the traits of their older revolutionary dreams.”
(B. Latour, Agency at the time of the Anthropocene, New Literary History Vol. 45, pp. 1-18, 2014)
“[I] feel it coming, a series of disasters created through our diligent yet unconscious efforts. If they’re big enough to wake up the world, but not enough to smash everything, I ‘d call them learning experiences, the only ones able to overcome our inertia.”
(Denis de Rougemont, cited in Partant 1979)
Die Zukunft, von der wir dachten, wir hätten vielleicht noch ein Jahrzehnt, um uns auf sie vorzubereiten – jetzt ist sie plötzlich da. Die gegenwärtige Herausforderung ist dabei ein nicht-menschlicher Aktand (Latour) Und das wahrscheinlich nicht zum letzten Mal. In der sogenannten „Corona-Krise“ erhalten wir eine Vorschau auf das, was uns im Anthropozän erwartet. Das Aufkommen und die rasche Verbreitung des Virus ist in dieser Drastik nur durch Globalisierung und Vernetzung möglich geworden. Aller Voraussicht nach erwarten uns weitere, ähnlich schwere Krisen, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Erderwärmung. Das 21. Jahrhundert wird also radikal anders als das 20. sein (was aus historischer Sicht auch nicht verwundern sollte). Gewohnte Gewissheiten, Techniken und gesellschaftliche Praktiken werden verschwinden. Unsere Verantwortung und Aufgaben als Architektinnen und Städtebauer werden sich ebenfalls fundamental ändern.
Bisher haben Wissenschaft und Gesellschaft die Vulnerabilität unserer urbanen Strukturen gegenüber den Risiken, die ein logischer Nebeneffekt unserer gegenwärtigen Lebensweise sind, heruntergespielt bzw. verdrängt. Auf der Suche nach alternativen und gewissermaßen realistischeren Sichtweisen gerät Jem Bendell’s Konzept der „deep adaptation“ (siehe hier) in den Fokus: Er plädiert dafür, sich auf den Kollaps bestimmter Systeme, die momentan unser Leben ordnen, vorzubereiten – und dies positiv als Chance zur Veränderung zu begreifen. Für den Städtebau stellt sich damit die Frage: Welche Infrastrukturen, welche Systeme sind in Klima- und anderen Krisen resilient, welche vulnerabel? Wo bestehen Ungleichgewichte im Kosten-Nutzen-Verhältnis solcher Systeme? Wie kann auf Basis unserer heutigen Lebensweise eine Modell entstehen, das weniger Ressourcen verbraucht, aber nicht auf die Fortschritte verzichtet, die wir als Gesellschaft bisher erreicht haben? Auf welche Szenarien müssen wir die urbanen Systeme vorbereiten? Und wie kommunizieren wir all dies der Gesellschaft?
Die Professur für Urban Design beschäftigt sich im Zuge einer langfristig angelegten Recherche mit dem Zusammenhang von deep adaptation und Städtebau. Die aktuelle Situation sehen wir als Episode, in der wir an der Realität erforschen können, was deep adaption konkret bedeutet. Die Krise verdeutlicht die Vulnerabilität unserer Systeme, vor allem aber werden durch sie zahlreiche Selbstverständlichkeiten unseres globalisierten und ressourcenintensiven Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells hinterfragt.
In diesem Kontext führen wir das Urban Design Research non-Studio (UDRnS) am Fallbeispiel München durch. Unser Ziel ist es zum einen, einen „Notfallplan“ (das „Emergency Book“) für kommende Krisen zu erstellen. Zum anderen interessiert uns, wie sich bestimmte Räume in der Stadt in den nächsten Jahrzehnten verändern werden. Wir nehmen dabei Orte wie die Theresienwiese oder den Vitkualienmarkt, aber auch typische alltägliche Stadtquartiere in den Blick. Was bedeuten Hitzesommer, Engpässe in der Versorgung, ökologische Probleme, aber auch spätere Pandemien für die Transformation dieser Orte? Welche Bilder brauchen wir, um den Menschen die kommenden Veränderungen zu vermitteln? Auf was müssen wir sie als Architekt*innen und Städtebauer*innen vorbereiten? Wie entwerfen wir die Stadt, die nach der „Großen Beschleunigung“ kommt? Vor allem: Wie tun wir dies im Sinne eines positiven Narrativs, das gleichzeitig aber nicht einfach den Fortschrittsparadigmen des 20. Jahrhunderts folgt?
Das Perivàllonistische Manifest
In light of the fact, that the (Capitalocene) society is doomed to fail, we see it as our responsibility to herald in the era of the Perivàlloncene (Perivàllocene?) (greek περιβάλλον [perivallon] = the environment). We are convinced that a new, global way of thinking and living in harmony with nature is essential to sustain existing and future generations, as well as other species on the planet. Contrary to the widespread belief, that the climate crisis and the extinction of species can be prevented solely by reducing greenhouse emissions, we believe that a fundamental change in social values and norms is crucial. Under this pretext, it is our duty to make an urban and social premise on the path towards perivàllonism. In accordance with our visions of a perivàllonistic city, it is time to rethink and redesign the old city ring of Munich. Our goal is to free the heart of the city from its oversized ring road and implement sustainable and liveable urban situations.
Die Lokalen Urbanen: Theresa Bader, Aida Demschenko, Spyridon-Nektarios Koulouris, Stella Sommer, Leonie Wrighton
Ökonomen sagen „Krisen sind zu erwarten“, Politiker sagen „Krisen sind zu bekämpfen“, dieses Projekt sagt: „Auf Krisen muss man sich vorbereiten.“
Was für eine Antwort kann man auf die unausweichlichen zukünftigen Herausforderungen geben? Unsere These lautet: Je globaler das Problem, desto lokaler sei die Lösung. Die Stadt als Resultat der Globalisierung und Motor für die imminenten Krisen soll zugleich als Katalysator für deren Lösung agieren.
Der Weg dorthin basiert auf den Aktivitäten der Bewohner*innen, die eine Rolle verschiedenartiger Akteure übernehmen und somit die städtische Realität verändern. Durch eine Vielzahl lokal gezielter Aktionen, deren Durchführung in den Alltag integriert werden kann, lassen sich die im Projekt gesetzten Meilensteine erreichen. Diese erlauben einerseits die urbane Resilienz und Anpassung im zukünftigen Krisenfall und steigern andererseits die Qualität und Behaglichkeit des Stadtraumes im hier und jetzt.
Durch die lokalen Interventionen entwickelt sich die Narrative der Meilensteine vom kleinen Maßstab des Hauses und der Nachbarschaft bis zur Stadtebene, wo sie entsprechend mit schon gesetzten Zielen der Stadt München in Dialog tritt. Somit besteht eine feste Verbindung zwischen dem Individuellen zum Gemeinsamen und vice versa in jeder Entscheidung. Übergeordnete „top-down“ Maßnahmen auf großmaßstäblicher Ebene werden durch kleinmaßstäbliche „bottom-up“ Interventionen abgelöst und stehen dadurch immer im Rahmen demokratischer Willensbildungen.
Infratecture - Towards a new Food-Architecture: Cristiana Martinelli, Konstantin Flöhl, Georg Meck
Having learnt more about the inefficient food supply chain and its lack of sustainability, we developed a food supply chain based on regional sources. As climatic and pandemic emergencies become more and more part of the futures and the present, the question arises, how to achieve a resilient food industry that is relying on local production and local consumption. There is enough food planted in Germany to supply all humans living in Germany. This makes it mostly a question of distribution. In order to establish an ecofriendly and reasonable regional food-supply-chain without years of planning and building, we made intensive use of the already existing infrastructure. Tracks and ware-houses in the rural areas as well as in the city are the key-elements together with the selling units placed at tram and bus stations all over the city. By uniting the partners from the various sections, a regional value chain is created. The project and its infratectural approach has the potential to start now and being adjusted to its growth during the next years. Its goal is not alone to create a regenerative agriculture and a healthier supply system for all participants and users but to make it autarkic and to stabilize it for upcoming threats.