Alltagsversorgung im ländlichen Raum
Im Auftrag der Bayerischen Verwaltung für Ländliche Entwicklung untersuchte der Lehrstuhl für Nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land der TU München zwischen 2017 und 2020 die räumlichen Bedingungen für die Sicherung der Alltagsversorgung in Bayern. Aufbauend auf den Ergebnissen wurden Empfehlungen und Handlungsmöglichkeiten abgeleitet, die zur Herstellung und Sicherung einer guten Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum sowie zur Entwicklung besserer räumlicher Strukturen beitragen sollen.
Abschlussbericht - 2020
Die Sicherung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung ist eine zentrale Aufgabe der bayerischen Kommunen und der Staatsregierung. Gerade weniger mobile Bevölkerungsgruppen sind auf eine wohnortnahe Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs angewiesen. Seit Jahrzehnten finden jedoch Prozesse statt, die zu einer Ausdünnung des Versorgungsangebots in der Fläche führen, worunter die Qualität des Lebens im ländlichen Raum leidet.
Im Auftrag der Bayerischen Verwaltung für Ländliche Entwicklung untersuchten die Technische Universität München und die Universität Bayreuth die räumlichen Bedingungen für die Sicherung der Alltagsversorgung in Bayern. Aufbauend auf den Ergebnissen wurden Empfehlungen und Handlungsmöglichkeiten abgeleitet, die zur Herstellung und Sicherung einer guten Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum sowie zur Entwicklung besserer räumlicher Strukturen beitragen sollen.
Auftraggeber
Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung
Durchführung
Technische Universität München
Prof. Dipl. Arch. ETH Mark Michaeli, Denise Ehrhardt (Projektleitung)
Universität Bayreuth
Prof. Dr. Manfred Miosga, Daniela Boß
Kontakt
Denise Ehrhardt
+49 89 289-25014
denise.ehrhardt(at)tum.de
Vorgehen und zentrale Ergebnisse
Die Untersuchung wurde in zwei Bausteinen aufgebaut. Baustein A: "Raumwissen Bayern" erarbeitete auf Basis von fein aufgelösten Geodaten differenziertes Wissen zur räumlichen Struktur der Alltagsversorgung in Bayern. Baustein B: "Trends und Akteure in der Alltagsversorgung" identifizierte Treiber, die in verschiedenen Bereichen der Alltagsversorgung Einfluss auf die räumliche Verteilung von Angebotsstandorten haben. Der methodische Ansatz der strukturellen Untersuchung ermöglicht es, Räume mit potenziellen Defiziten in der Alltagsversorgung, erstmals flächendeckend für ganz Bayern, abzubilden. Neu ist dabei, dass die administrativen Einheiten zugunsten einer feiner aufgelösten, ortsteil- und raumstrukturbezogenen Bewertung aufgelöst werden und dabei ein differenziertes, auch gemeindeübergreifendes Bild der Versorgungssituation entsteht.
Die Ergebnisse zeigen eine sehr ausdifferenzierte räumliche Struktur der Versorgungssituation. Nicht nur in dünn besiedelten Räumen, sondern auch in dichter besiedelten Gebieten in der Nähe von Ballungsräumen sind kritisch zu bewertende Strukturen zu finden. Andererseits weist manch peripher gelegener, ländlich geprägter Raum auch eine sehr gute flächige Versorgung auf.
Zudem wird die Relevanz der inneren Struktur von Gemeinden für die Versorgung deutlich. Die Hälfte der Einwohner, die innerhalb von drei Kilometern Luftlinie keinen Lebensmitteleinzelhandel erreichen, lebt in Gemeinden die zwar im Kernort einen Versorgungsstandort aufweisen, deren Gemeindefläche allerdings so groß ist, dass für die Bevölkerung in den Ortsteilen sehr weite Wege entstehen. Häufig sind dies kleine und mittelgroße Städte mit bis zu 20.000 Einwohnern und damit eine Ortskategorie, welche typischerweise bei der Bewertung der Alltagsversorgung gar nicht unter die Lupe genommen wird. Die andere Hälfte der Unterversorgung entsteht in den rund 500 Gemeinden, die gar kein stationäres Angebot aufweisen. Die Mitversorgung dieser Räume verlangt wachsende Aufmerksamkeit.
In weiteren Untersuchungen des Projekts wurde die hohe Relevanz von kleinen Alltagsinfrastrukturen als Orte des sozialen Austauschs und deren Stellenwert für die Vitalität kleiner Ortsteile herausgestrichen. Weiterhin wurde in Befragungen festgestellt, dass die Wahrnehmung der Versorgungssituation aus Sicht der Gemeinde zum Teil stark von der datenbasierten Erhebung abweicht. Für die Entwicklung wirksamer Konzepte zur Sicherung der Versorgung ist daher die Integration beider Perspektiven von großer Bedeutung. Ausführliche Erläuterungen und weitere Ergebnisse sind im Abschlussbericht zu finden.
Zentrale Handlungsfelder
Um das neue Wissen in Empfehlungen für die Ländliche Entwicklung einfließen lassen zu können, wurden die Ergebnisse aus den beiden Untersuchungsbausteinen in zwei Workshops mit Vertretern der Verwaltung für Ländliche Entwicklung diskutiert und zu Handlungsfeldern für die Sicherung, Unterstützung und Weiterentwicklung der Alltagsversorgung im ländlichen Raum verdichtet:
Mitversorgung und Partnerschaften sind zentrale Themen
Mitversorgung auf verschiedenen räumlichen Ebenen wurde als wichtiges Thema identifiziert. Die nahräumliche Erreichbarkeit von Angeboten z.B. aus peripheren Ortsteilen kann häufig bereits auf kommunaler Ebene verbessert werden. Jedoch ist bei Abhängigkeit von benachbarten Städten und Gemeinden ein überkommunaler oder gar (klein)regionaler Blick notwendig. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Rückzugs von Angeboten der Alltagsversorgung aus der Fläche ist diese interkommunale Perspektive mit abgestimmtem Handeln in Partnerschaften essenziell, um eine bedarfsgerechte Versorgung für die Bevölkerung im ländlichen Raum zu gewährleisten.
Lebensqualität, Soziales und Versorgung sind eng verknüpft
Orte der Alltagsversorgung sind auch Zentralitäten in sozialräumlichen Netzwerken und damit, über die Versorgungsfunktion hinaus, bestimmend für die Lebensqualität im ländlichen Raum. Lebensmittelläden, Kitas, Grundschulen und auch Hausärzte sind im ländlichen Raum wichtige Treffpunkte für die Dorfgemeinschaft. Steht die Sicherung und Förderung von Angeboten der Alltagsversorgung in kleinen Orten ohnehin im Fokus, bedeutet diese zweite Funktionalität den zwingenden Erhalt und die Entwicklung von weiteren niederschwelligen Angeboten, die zu einem attraktiven Lebensumfeld und zu sozialem Austausch beitragen und damit auch Phänomene der Abwanderung dämpfen.
Raumwissen ist eine wichtige Grundlage
Genaues Hinschauen aus mehreren Perspektiven ist notwendig, um Handlungsräume zu finden und spezifische Problemlagen wie z.B. den hohen Anteil der potenziellen Unterversorgung unterhalb der Gemeindeebene sichtbar zu machen und gezielt reagieren zu können. Übliche Bewertungen auf Ebene der Gemeinde oder darüber bilden die Problemlage diesbezüglich nur ungenügend ab. Zudem verändern neue Technologien und Lebensstile radikal die Nutzungsmuster der Strukturen der Alltagsversorgung. Das Wissen zur Funktionsweise des Raums bedarf einer ständigen Aktualisierung.