Ein regionales Raumgerüst für Bellinzona
Entwicklungsperspektive einer fusionierten Gemeinde
BERNADETTE BRUNNER - MASTER THESIS URBANISTIK - SOMMER 2018
Mit komplexer werdenden planerischen Anforderungen, welche zunehmend einen (über-)regionalen Maßstab betrefen, wird der Druck auf eng gefasste Verwaltungsgrenzen größer. Die steigende Zahl von Gemeindefusionen in der Schweiz der letzten 20 Jahre zeigt den Trend zur Verlagerung kommunaler Aufgaben auf eine übergeordnete räumliche Ebene. Doch ein administrativer Zusammenschluss ist kein Garant für die gelungene Raumentwicklung. Potentiale eines regional gedachten Raumes entfalten sich erst in der räumlichen Detaillierung. Das Scheitern bzw. die redimensionierte Umsetzung von ursprünglichen Fusionsprojekten zeigen den Gestaltungsbedarf und die Notwendigkeit von gemeinsam getragenen, regionalen Identiikatoren auf.
In diesem Rahmen untersucht die vorliegende Arbeit die Gemeindefusion als räumlichen Gegenstand am Beispiel der italienischsprachigen Schweizer Stadt Bellinzona und fragt nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse. Das agglomerierte Territorium des „Nouva Bellinzona“ umfasst die Flächen von 13 ehemals eigenständigen Gemeinden und ist mit 164 Quadratkilometern der lächenmäßig größte je durchgeführte Zusammenschluss der Schweiz. Allerdings beschränken sich der Talboden und das einzige bewohnte Nebental Morobbia auf nur rund 40 Quadratkilometer. Die Talenge um Bellinzona ist seit jeher ein Nadelöhr und strategischer Zugang zu mehreren Alpenpässen. Dementsprechend oft wurde der Talboden in der Vergangenheit durch externe, infrastrukturgetriebene Entwicklungen stark geformt– sei es durch die Gotthard-Bahn oder den späten Ausbau der Autobahn. Im Zuge des Großprojektes Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) stellt sich die Frage, welche Aspekte eine erneute Überprägung der räumlich beengten Situation um Bellinzona mit sich bringt.
Die vorliegende Arbeit setzt deshalb die Impulswirkung der Gemeindefusion für die Raumentwicklung in den Fokus und fragt nach dem Mehrwert, der sich durch die Betrachtung eines fragmentierten Raumes als eine Entität ergibt. Basierend auf einer Stärken-/Schwächen-Analyse sowohl des neuen Ganzen, wie auch der ehemaligen Einzelstücke des Territoriums und deren Verortung im Raum anhand einer Schatz- und Deizitkarte, wird die Aussage hergeleitet, dass die Grenzlagen der ehemaligen Gemeinden wichtige zukünftige Entwicklungsräume darstellen. Die Identiizierung von vier auf den Gesamtraum wirkenden Trends und dem in einem Wirkungsmodell aufgezeigten Spannungsfeld zwischen Transit-, Zentralitäts- und Identiikationsefekten verdeutlichen die Notwendigkeit einer baulichen Koordination des engen Talbodens. Die sich daraus ableitende These besagt, dass sich für die Schafung neuer regionaler Identiikationsmerkmale die Quliizierung sogenannter „innerer Peripherielagen“ anbietet. Diese an Schnittstellen von verschiedenen Grenzsituationen gelegenen Räume kennzeichnet insbesondere eine Häufung von nicht der Wertigkeit des zentralen Bodens entsprechenden Nutzungen. Sie weisen eine Vielfalt an räumlichen Eigenschaften auf und bilden in ihrer Vielzahl ein eigenes den Raum verbindendes Element. Allerdings sind sie aufgrund ihrer Zugänglichkeitsdeizite kaum direkt aktivier- und entwickelbar.
Auf dieser Erkenntnis aufbauend, wird in dieser Arbeit deshalb eine konzeptionelle Rahmung anhand von vier dynamischen Zukunftsbildern ausgearbeitet, welche aktuelle Prozesse aufgreifen, modiizieren und in eine gewünschte Richtung forcieren. Ein Werkzeugkasten aus Handlungsansätzen und Aktivierungselementen dient dazu, anhand eines konkreten Vertiefungsraumes zu demonstrieren, wie eine Überlagerung aus verschiedenen Peripherielagen durch eine geeignete Transformationsstrategie aktiviert und zu einem zukünftig verbindenden Element werden kann. Durch die Schafung von neuem Ortsrecht sowie durch die institutionelle Neugliederung und indem neu über Zentrum und Rand nachgedacht wird, wird die Gemeindefusion so zur Chance, die Spielregeln der Planung neu zu gestalten.