Re-Integrate Votanikos
Athens
Semesterprojekt M.A. Landschaftsarchitektur, Wintersemester 2016/17
Thema
Im Jahr 1840 schreibt der Dichter Hans Christian Andersen auf seiner Griechenlandreise: „Wir fuhren im Galopp, es staubte furchtbar, aber es war ja klassischer Staub. Bald erreichten wir den Olivenhain, Minervas heiligen Hain! Eine hölzerne Bude war an jeder Seite des Weges errichtet. Zitronen und Apfelsinen lagen hier ausgebreitet, garniert mit einer Reihe Flaschen, die Wein und Likör enthielten.”(Hans Christian Andersen 1842 / 2011)
1996 sieht das im Kifissos Tal gelegene Gebiet Votanikos, das die westliche Grenze der Stadt Athen markiert, völlig verändert aus: „Der Olivenhain von Athen, einst ein Gebiet im Westen der Stadt mit mehr als 300 000 Bäumen, ist heute verschwunden und in Vergessenheit geraten. Etwa 140 alte Baumriesen, einige sicherlich an die tausend Jahre alt, zeugen noch von der vergangenen Schönheit dieses Haines. Heute ist dort Kleingewerbe und Industrie, wo früher Oliven geerntet wurden.“ (Regine Keller 1996) Votanikos entwickelte sich – parallel zum explosionsartigen Stadtwachstum der Region Athen – zu einem Gebiet informellen Gewerbes und der Kleinindustrie. Der berühmte Olivenhain mit Platos Akademie und den Botanischen Gärten verschwand – er wurde wie der Kifissos zubetoniert.
Doch wie hat sich die Stadtlandschaft hier in den letzten 20 Jahren entwickelt? Heute finden sich in dem fast vollständig überbauten, durch Großinfrastrukturen und Stadtautobahnen fragmentierten Stadtlandschaftsraum Votanikos genutzte und aber auch leerstehende Gewerbebauten, große Brachen wie die des aufgegebenen Millionenprojektes Votanikos Arena des Panathinaikos FC und vereinzelt informelle Siedlungen. Immer noch sind einige Ruinen und Relikte, wie die Kapellen und Kirchen entlang der Heiligen Straße Agias Annis zu finden. Diese sind Relikte aus der Zeit vor 1930 – als das Gebiet noch der ländlich geprägte Flussraum „vor den Toren der Stadt“ war. Zudem haben 2016 in dem industriellen Quartier auch wieder Menschen zumindest temporär hier – mitten im Gewerbegebiet – Wohnraum erhalten: auf einer Industriebrache wurde in Elaionas, das größte Flüchtlingscamp Athens, ein Containercamp errichtet.
Aufgabe
Die Lehrstühle LAREG und LAO nähern sich in einer gemeinsamen Projektplattform dem Großraum Athen, dem Kifissos Tal und seiner Stadtlandschaft. In einer Exkursion nähert sich die Projektgruppe sowohl der geschichtsumwobenen pólis Athen, ihren öffentlichen Räumen und klassischen Landschaften wie auch den rasanten Urbanisierungstendenzen, dem “landschaftszerstörerischen” Flächenfraß und den Peripheriebildungen, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzen.
Am Lehrstuhl LAO werden im Masterprojekt 1/2 die Grundlagen für das Untersuchungsgebiet Votanikos und Elaionas und seine Rolle in Athen sowohl auf städtebaulicher, landschaftsarchitektonischer als auch auf gesellschaftspolitischer Ebene recherchiert, analysiert und dokumentiert. Darüber hinaus gilt es zu untersuchen, welche verwandten Disziplinen (Soziologie, Politik, Kultur, Ingenieurwesen, ...), welche Akteure und Prozesse in einem Stadtlandschaftsumbau von Votanikos eingebunden werden könnten und müssten.
In einem integrierten landschaftsarchitektonischen Entwurf am Beispiel des Gebietes rund um die Brache des ehemals geplanten Panathinaikos Stadions Votanikos sollen daraufhin Strategien und Maßnahmen gefunden werden, die zu einer besseren stadträumlichen, sozioökonomischen und ökologischen Integration dieses vernachlässigten Stadtteils in das Ballungszentrum Athen-Piräus führen können. Zentrale Fragen hierzu sind, wie diese sozialräumliche Integration auf verschiedenen Ebenen (städtebaulich/landschaftlich, sozioökonomisch, ethnisch, lokalpolitisch, …) gestaltet werden kann und welche Rolle der öffentliche Raum in einem durch produzierendes Gewerbe und Dienstleistungsunternehmen geprägten Quartier einnehmen kann. Wie viel Wohnen und Freizeitnutzungen kann und muss hier angesiedelt werden? Welche Rolle spielen die Flüsse und die historische Kulturlandschaft in Zukunft? Bietet das gewerbedominierte Quartier einen Potentialraum für die Integration von Migranten und anderer benachteiligter Bevölkerungsschichten?
Betreuung
Prof. Regine Keller, M.Sc. Tasos Roidis, M.Sc. Johann-Christian Hannemann