LIGURIA . rezent . retentiv . resilient
Projektzusammenfassung von Alexandra Bauer und Julian Schäfer
Der Westen von Ligurien
Im westlichen Ligurien zwischen Genua und der Côte d’Azur wachsen die Agglomerationen entlang der Mittelmeerküste und in die Täler hinein, während gleichzeitig im Gebirge die Landschaft brachfällt. Diente dort einst ein Kanalsystem zur Ableitung des Wassers aus den Alpen ins Meer gleichzeitig der Bewässerung der Weinberge und Olivenhänge, führt sein Verlust heute zu Erosion und Wassermangel. Die abgehängten Dörfer verlieren ihre Einwohner:innen, die Kosten für den Erhalt von Infrastrukturen in verwaisten Gegenden werden ineffizient. Der demographische Wandel in Verbindung mit dem Klimawandel stellt die Region vor neue Herausforderungen. Die Polarität von Wassermangel und Wasserkatastrophe führt zu Fragestellungen, denen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen zu begegnen ist.
Während die Küste vor allem vom Tourismus profitiert und mit Infrastruktur gut erschlossen ist, verlieren die historischen Dörfer auf den Berggraten im Landesinneren ihre Lebensgrundlage.
rezent . retentiv . resilient .
Im Wintersemester 22/23 suchten wir nach Antworten, wie mit Konzepten und Entwürfen die ligurische Landschaft in Zeiten des Klimawandels erhalten, weiterentwickelt und erneuert werden kann. Im klassischen Dreiklang des Begriffs ‚Aufhebung‘ sollten die Strukturen und Elemente der historischen Kulturlandschaft (vor allem die Trockenmauern des Olivenanbaus) in dem Sinne in der Landschaft ‚aufgehoben‘ werden, sodass sie erhalten bleiben (resilient – widerstandsfähig), neue Funktionen übernehmen können (retentiv – aufnahmefähig) und erneuert werden (rezent – frisch).
Dabei waren die einzelnen Entwurfsgruppen frei in der Wahl ihrer Entwurfsgebiete und Maßstäbe für Konzeption und Entwurf. Lösungen konnten auf regionaler, lokaler, städtebaulicher oder objektplanerischen Ebene gesucht werden. 10 Entwurfsgruppen, davon 5 Bachelor- und 5 Mastergruppen – stellten sich diesen Herausforderungen. Stets begleitet wurde unser Projekt von dessen Initiatorin Annette Dehlinger (B. Sc. Landschaftsarchitektur), die in der Region Imperia sesshaft ist, sowie von Adriana Ghersi, Professorin für Landschaftsarchitektur an der Universität Genua und Spezialistin für historische Kulturlandschaftslemente in Ligurien.
Landschaftliche Voraussetzungen für Pioniere
Durch Annette Dehlinger lernten wir während der Exkursion ausgehend von unserem Basislager in Dolcedo und Bellissimi Akteure und Pioniere vor Ort kenne, die um den Erhalt der Kulturlandschaft von Ligurien kämpfen. Das nahmen einige Entwurfsgruppen zum Anlass, sich mit dem Thema der Pioniere auseinanderzusetzen. Sie entwickelten räumliche Strategien und Prinzipien, wie man das ligurische Gebirge für Pioniere ‚eröffnet’ und durch das Tätigsein der Pioniere die Kulturlandschaft vor dem Verfall und den damit einhergehenden Naturrisiken bewahren – und schließlich brachgefallene Flächen wieder reaktivieren kann. Mit der Implementierung neuer Elemente, beispielsweise zur Produktion von Energie oder Lebensmitteln, schaffen Pioniere den Grundstein für eine zukunftsfähige, resiliente Region (vgl. Projekte Ligutopia(s), combinationLANDSCAPE).
Ligutopia(s)
combinationLANDSCAPE
Regionale Produkte verändern die Landschaft
Die Weiterentwicklung von Gemeinschaften, bzw. die Entwicklung neuer Netzwerke und Zusammenschlüsse zur Produktion und Vermarktung besonderer regionaler Erzeugnisse war ebenfalls Basis einiger Konzeptansätze. Auf dem Grundstein der historischen Kulturlandschaft wurden rezente, alte und neue Wirtschaftsweisen sowie landwirtschaftliche Erzeugnisse kombiniert: Lavendel und Kräuter im Zusammenspiel mit Honigproduktion (Valley Catalysts) oder die Reaktivierung der dezentralen Olivenölproduktion (Tessuto Ligure). In einer anderen Arbeit lag der Fokus vor allem auf dem Potential der Verantwortung, die Bewohner:innen unterschiedlicher Siedlungsformen aus ihrer Lage heraus für die Erhaltung der Kulturlandschaft übernehmen können (Balanced Liguria).
Balanced Liguria
Tessuto Ligure
Valley Catalysts
Ligurien als ‚Sponge Landscape‘
Im Gegensatz zu den sozialen Strukturen konzentrierten sich andere Entwurfsgruppen auf die räumlichen Strukturen und Landschaftstypen und suchten nach technischen Möglichkeiten, die zum einen die Kulturlandschaft in ihren Grundzügen erhalten und weiterentwickeln können, zum anderen vor Naturkatastrophen schützen, die vom Klimawandel hervorgerufen werden. Sie setzten sich neben Waldbränden und Erdrutschen vor allem mit dem Wasserhaushalt auseinander und überlegten sich, wie Landnutzung und Siedlungen mit Dürre und Hochwasser (Retention) umgehen können (Sgraffito desl Paesaggio di Valle Argentina, Sponge Village, Passeggiate a Taggia, Sponge Mountain). Als regionales Konzept entwickelte die Arbeit ‚what holds landscape together' einen Weg, wie man im Spannungsfeld zwischen Abwanderung und Zuzug, Naturkatastrophen und ihrer Abwehr, brachfallender Landschaft und ihrer Produktion resilient und flexibel reagieren kann.
Sgraffito del Paesaggio di Valle Argentina
Sponge Village
Passeggiate a Taggia
Sponge Mountain
what holds landscape together
Regionale Konzeptansätze
Alle Entwurfsgruppen bewegten sich auf dem großräumigen (geographisch kleinen) Maßstab und suchten regionale bis städtebauliche Lösungsansätze. Denn die Probleme der ligurischen Landschaft entspringen keinen lokal begrenzten Phänomenen, sondern sind auf globale Problemlagen wie den Klimawandel sowie Themen nationaler Tragweite wie den demografischen Wandel und die Landflucht zurückzuführen. Solchen komplexen Fragestellungen (‚wicked problems‘) ist nur durch Kooperation und Zusammenarbeit auf regionaler Ebene zu begegnen.
Sicherung der Hänge
Die Umsetzung der Lösungsansätze hängt aber auch vom Engagement der Menschen vor Ort ab – und davon, für das Tätigsein in der Landschaft auch neue Menschen begeistern zu können, die dafür ihren Lebensmittelpunkt in die von Abwanderung betroffenen Gegenden verlegen. Dafür haben sich die Entwurfsgruppen auch mit den ganz praktischen Fragen der Hangsicherung beschäftigt – als Schutz vor Naturkatastrophen wie Erosion, Erdrutschen und schließlich dem Verlust des seit der Antike durch die Terrassierung angesammelten fruchtbaren Bodens. Neben Konzepten, wie die Arbeit an den Trockenmauern verteilt und erleichtert werden kann, stehen dafür jüngere Techniken mittels Gabionenmauern und Faschinen zur Diskussion sowie die kontrollierte Sukzession begrenzter Bereiche.
Die vielfältigen Konzeptansätze auf regionaler und städtebaulicher Ebene sind in der Kulturlandschaft selbst mit Leben zu füllen, um eine rezente, retentive und resiliente ligurische Kulturlandschaft erhalten und bewahren – aufheben – aber auch mit neuen Ideen weiterentwickeln zu können.
Die vielfältigen Konzeptansätze auf regionaler und städtebaulicher Ebene sind in der Kulturlandschaft selbst mit Leben zu füllen, um eine rezente, retentive und resiliente ligurische Kulturlandschaft erhalten und bewahren – aufheben – aber auch mit neuen Ideen weiterentwickeln zu können.
Theoretischer Hintergrund
Im Rahmen der Projektplattform befassten wir uns mit…
… dem Palimpsest und dauerhafter Strukturen (ROSSI, CORBOZ)
… Dörfern, Landwirtschaft und Trockenmauern (GHERSI, KONOLD)
… „Schwammlandschaften“ im Klimawandel (YU, MC HARG)
… dem morphologischen Ansatz und dem Landschaftsvertrag (SCHÖBEL)
… dem demographischen Wandel, Mikroökonomien, Tourismus und ländlichen Sozialstrukturen.