Thema: Verkehrsinfrastrukturen bestimmen Erreichbarkeit und damit das räumlich ungleich verteilte Potenzial der Interaktion von Akteuren. Erreichbarkeit stellt eine wichtige Voraussetzung für Wissensaustausch und -produktion dar, denen vor dem Hintergrund der Transformation zur Wissensökonomie ein zunehmender Einfluss auf die Stadt- und Regionalentwicklung zukommt. In Folge des Ausbaus des Hochgeschwindigkeits-Bahnverkehrs (High-Speed Rail, HSR) in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern – so auch Deutschland – bilden HSR-Stationen heute zentrale Zugangspunkte des überregionalen Personenverkehrs. Vermittels ihrer Erreichbarkeitswirkungen nehmen sie nicht nur auf die Interaktionswahrscheinlichkeit ansässiger Unternehmen und Haushalte Einfluss, sondern haben mittel- bis langfristig auch das Potenzial, katalytisch Standortentscheidungen und somit die Raumstruktur erheblich zu beeinflussen. Die katalytischen Wirkungen machen HSR zu einem potenziellen Instrument der Raumordnungs- und Regionalpolitik. Dies ist auch vor dem Hintergrund bisheriger und zukünftiger großer öffentlicher Investitionssummen in HSR-Infrastrukturen von hoher gesellschaftlicher und politischer Relevanz.
Wissenschaftlich interessiert daher die Frage, ob solche mittel- und langfristigen Wirkungen von HSR-Stationen, auch abhängig von weiteren Einflussfaktoren, auf die räumliche Entwicklung zu beobachten sind. Die jüngere akademische Diskussion beurteilt diese Wirkungen sehr unterschiedlich und betont weiteren Forschungsbedarf. Sie konzentriert sich zudem auf die stark wachsenden Verkehrssysteme in China, Spanien und Frankreich, die jedoch nur eingeschränkt mit denen in Deutschland vergleichbar sind. Außerdem betrachten die meisten Studien die Wirkungen der Erreichbarkeitsverbesserung mittels aggregierter Größen im Input sowie Output, während es an räumlich differenzierten Analysen mangelt, die lokale Einflussfaktoren berücksichtigen und Ergebnisse mittels qualitativer Verfahren absichern.
Ziel dieses Vorhabens ist es, die funktionalen und räumlichen Wirkungen von HSR-Stationen in Deutschland auf entscheidungsrelevanten Maßstabsebenen systematisch abzuschätzen. Besonderer Fokus liegt auf dem Zusammenhang zwischen dem Erreichbarkeitszuwachs im lokalen und regionalen Umfeld von HSR-Stationen und der Standortwahl von Unternehmen der Wissensökonomie. Unser Vorgehen stützt sich auf einen kontrastierenden Vergleich von Fallstudien sowie das Prinzip der methodischen Triangulation: quantitative und qualitative Ansätze ergänzen sich sowohl bezüglich der Feinkörnigkeit der eingesetzten Daten als auch der Kombination raumwissenschaftlicher Analysemethoden. Auf diese Weise leisten wir einen Beitrag zum Verständnis der sich gegenseitigen verstärkenden, katalytischen Wirkungen des HSR-Verkehrs in Deutschland.
Beteiligte Mitarbeiter: Fabian Wenner, Johannes Moser, Alain Thierstein; Forschungsgruppe "Land Use, Infrastructure, Spatial Transformation"
Auftraggeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Kooperationspartner: ILS–Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung