Kooperative Stadt rebooted
Städtebauliches Entwerfen
Sommersemester 2020
Prof. Benedikt Boucsein, Elettra Carnelli, Vanessa Dörges, Matthias Faul, Isabel Glogar, Mareike Schmidt
Angesichts unseres Grundkurses zum Städtebau sprachen wir im Sommersemester 2019 von der Vorbereitung auf eine Zeit des Umbruchs. Gegenwärtig erleben wie eine Art Vorschau, vielleicht auch schon den Anfang dieses Umbruchs. Die gesamte Menschheit ist im Krieg, und sie kämpft nicht gegeneinander, sondern gegen einen nicht-menschlichen Aktanden (Bruno Latour), und das wahrscheinlich nicht zum letzten Mal. Kurzfristig mögen es Viren sein, mittel- und langfristig werden wir uns aber auch mit ähnlicher Heftigkeit mit anderen Folgen unseres Lebensstils auseinandersetzen müssen. CO2 und Erderwärmung stellen von diesen nur die „prominentesten“ dar. Willkommen im Anthropozän!
Es tritt nun also das ein, was sich seit längerem andeutet: Das 21. Jahrhundert wird radikal anders als das 20. sein. Bestimmte Gewissheiten, Techniken und gesellschaftliche Praktiken werden verschwinden. Unsere Aufgaben als Architektinnen und Städtebauer werden sich ebenfalls verändern. Wir wollen die gegenwärtige Situation daher als Möglichkeit wahrnehmen, die Dinge klarer zu sehen und in die Zukunft nach der „Corona-Krise“ zu blicken, ohne uns von ihr die Sicht verstellen zu lassen.
Die erste Auseinandersetzung im Studium mit dem städtebaulichen Maßstab widmet sich daher dem reboot – und zwar demjenigen der Kooperativen Stadt. Denn das Virus ist nicht einfach zufällig über uns gekommen. Seine Effekte sind in dieser Drastik nur möglich durch die Globalisierung, durch die Vernetzung, und durch einen ungeheuren Raubbau an der Natur. Das Virus trifft zudem oft auf Gesellschaften, in denen das kooperative und solidarische Element in den letzten Jahrzehnten zusehends durch Individualismus und Profitorientierung verdrängt wurde. Da wir unerschütterliche Optimisten sind, glauben wir entsprechend daran, dass der reboot eine bessere Gesellschaft hervorbringen kann und wird. Den reboot sehen wir dabei kurzfristig im Spiegel der gegenwärtigen Krise, vor allem aber mittel- und langfristig.
Nukleus der neuen, alten Stadt sind für uns kooperative Projekte, allem voran Genossenschaften, aber auch soziale Vereine und andere bottom-up-Initiativen. Im Semester begleitet uns das Thema daher auf unserem Weg der (virtuellen) Erkundung alltäglicher Quartiere in München. Wir knüpfen dabei direkt an Initiativen wie die „Alte Utting“, soziale Vereine und existierende kollaborative Wohnprojekte an. Sie alle gehen von der Überlegung aus, in Zukunft möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen und sich gegenseitig so viel wie möglich zu helfen. Jeder unserer Entwürfe hat trotzdem auch Auswirkungen auf den Stadtraum und beteiligte Akteure und Aktanten wie die Umwelt, Flora und Fauna. Kooperation bedeutet deshalb auch, in Verhandlung zu treten: mit der Stadtplanung, mit der lokalen Wirtschaft, den Investoren, den Bürgern, den Gewerbetreibenden, aber auch den weniger lauten und oft unsichtbaren wie Flüchtlingen oder Obdachlosen. Wir beschäftigen uns unter anderem mit der Frage, wie Produktion und Wohnen zusammengedacht werden können, Ressourcen eingespart und der Stadtraum aktiv mitgestaltet werden kann.