Gewerbegebiete aufheben
freie Masterthesis (WS22)
Verfasser: Fabian Egle
Diese These beschäftigt sich mit einem nahezu unsichtbaren Ort, zumindest für einen großen Teil unserer Gesellschaft. Einem Ort der weder Stadt noch Landschaft ist - dem Gewerbegebiet. Ein Ort, den man als den Maschinenraum unsere Gesellschaft bezeichnen könnte. Rund ein Fünftel der Siedlungsfläche der Bundesrepublik Deutschland nehmen Industrie und Gewerbegebiete in Anspruch (Statistisches Bundesamt 2021). Die raumplanerische Entwicklung dieser Gebiete orientiert sich an harten Standortfaktoren, was eine Konzentration von Gewerbeflächen entlang von Verkehrsinfrastrukturen zur Folge hat. Aufgrund der vermeintlichen Flächenverfügbarkeit peripherer Lagen konnten in diesem Zusammenhang zahlreiche gut angebundene Standorte im Hinterland für eine städtebauliche Entwicklung, insbesondere für flächenintensives Gewerbe genutzt werden. Gewerbeflächen können auch als Inbegriff unseres energieintensiven und globalen Lebensstils begriffen werden. Als räumliches Extrem, das rund die Hälfte der Treibhausgase in Deutschland verursacht (Blümm 2020), in globale Wertschöpfungsketten eingebunden ist und große Teile des Ökosystems einnehmen.
Gewerbegebiete, die in Deutschland meist zwischen 1960 und 1990 errichtet wurden (Brenner 1997), befinden sich heute am Beginn eines Umstrukturierungsprozesses. Dieser Wandel wird maßgeblich durch demografische Veränderungen, die Digitalisierung und einer sich ändernden klimatischen Umwelt angetrieben ( vgl. Vrachliotis). Der Gebäudebestand ist oft veraltet und viele Geschäftsmodelle befinden sich aufgrund des Strukturwandels am Ende ihres Zykluses (Ministerium für Verkehr und Infrastruktur 2016). Die bestehenden vitalen Unternehmen werden sich zu kreislaufgerechten und weiterhin attraktiven Wertschöpfungsorten transformieren. Fachkräftemangel, Digitalisierung, Hitzeinseln und die Erreichbarkeit zu den Arbeitsorten mit nachhaltigen Mobilitätsmitteln sind Herausforderungen, denen sich die Akteure in den Gewerbegebieten stellen müssen. Die knapper werdenden Baulandreserven führen zu einem Umdenken hin zu platzsparenden und effizienteren Architekturen. In dieser Umbruchphase stellt sich die Frage, ob das Gewerbegebiet als räumliche Norm noch seine Berechtigung besitzt. Die These dieser Arbeit widmet sich einem neuen Verständnis von Produktivität in urbanen Systemen - Sie propagiert die Aufhebung des Gewerbegebiets!
Wie entsteht unsere gebaute Umwelt? Aus einer politischen Perspektive gesehen könnte man behaupten, dass unsere Umwelt das Ergebnis von Bedingungen ist. Ein konstanter Prozess, bei dem sich ein räumliches Ordnungsprinzip immer wieder an neue Rahmenbedingungen anpasst. Unsere gegenwärtige Umwelt ist aus dieser Sicht das Ergebnis von Überlagerungen verschiedener politischer Ordnungen. Ein räumliches Mosaik von historischen Bedingungen, die vom gegenwertig dominierenden Ordnungsprinzip aufgehoben werden (Aureli 2018/19).
Nun stellt man fest, dass das gegenwertige Ordnungsprinzip einen äußerst hohen Einfluss auf unsere Umwelt besitzt. Eine Ordnung, die mit Hilfe von räumlicher Expansion und materieller Extraktion innerhalb eines dynamischen Wachstumsprozesses immer weitere Teile unserer Umwelt gestaltet. Eine gigantische Wohlstandsmaschine, die uns gesünder, klüger und älter werden lässt - erstmalig auf unserem Planeten (Hermann 2022). Diese Maschine kann ganze Wälder abholzen, Flüsse begradigen und Metropolen entstehen lassen. Die erste Ordnung, die die Grenzen unseres Erdsystems überschritten hat (Meadows et al. 2004).
Daher könnte man schlussfolgern, dass sich diese Ordnung aufgrund der neuen Rahmenbedingungen in einem dialektischen Prozess anpassen wird (Hegel 1812). Eine neue Ordnung, die die negativen Auswirkungen auf unsere Umwelt überwindet und gleichzeitig die Errungenschaften vergangener Prinzipien erhält. Eine Ordnung innerhalb planetarer Grenzen. Man könnte dieses neue Ordnungsprinzip Kreislaufwirtschaft nennen. Diese Transformation hat bereits begonnen und wird nur bedingt in den urbanen Zentren ausgetragen - oder wie Rem Koolhaas diesen aktuelle Transformationsprozess beschreibt: „Der ländliche Raum ist heute die Frontlinie der Transformation. Eine Welt, die früher von den Jahreszeiten und der Organisation der Landwirtschaft diktiert wurde, ist heute eine toxische Mischung aus genetischen Experimenten, Industrienostalgie, saisonaler Einwanderung, territorialen Aufkäufen, massiven Subventionen, zufälliger Besiedlung, steuerlichen Anreizen, politischem Aufruhr, digitalen Spitzeln, Flex-Farming, Homogenisierung der Arten... mit anderen Worten: unbeständiger als die schnellste Stadt...“ (Koolhaas 2015, eigene Übersetzung).
Rückblickend betrachtet, entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung ein Planungsinstrument, dass die rasante Siedlungsentwicklung der damaligen Zeit zu ordnen versuchte. Die zunehmende Mechanisierung in der Moderne schuf ein neues Paradigma - die Funktionale Stadt. Diese manifestierte sich in der Charta von Athen (1933) und legte den Grundstein für eine Funktionstrennung im Städtebau.
Dieses Narrativ findet sich bis heute in unseren Gesetzestexten wieder. Gewerbe, Wohnen, Verkehr und Erholung werden in der Bundesrepublik seit 1962 durch die Baunutzungsverordnung (BauNVO) normiert und folgen bis heute dem Paradigma der funktionalen Stadt. Ein expandierender Siedlungskörper wird durch das Baugesetzbuch und die Baunutzungsverordnung genormt. Der Flächennutzungsplan ist hierbei der grafische Ausdruck dieser Normierung. Seinen bebauten Flächen stehen die „freien Flächen“ gegenüber, die in diversen Agrarrechten gesetzlich gefasst sind. Diese sind beispielsweise das Landwirtschaftsgesetz, das Düngegesetz, das Tierschutzgesetz, das Grundstücksverkehrsgesetz, das Flurbereinigungsgesetz, das Pflanzenschutzgesetz, das Forst- und Jagdgesetz und das Naturschutzrecht. Es entsteht der Eindruck, dass sich diese beiden Flächenarten gegenüberstehen, Landschaft oder Stadt.
Für die Kreislaufwirtschaft gewinnen die Landschaftsflächen an Bedeutung. Sie dienen als natürliche Klimasenken, Rohstoff- und Nahrungsmittelquelle oder zur Energieproduktion in Form von Wind- und Solarparks. Aus diesem Grund müssen diese Flächen auf eine Ebene gehoben werden.
Betrachtet man nun das Gewerbegebiet aus dieser Perspektive, dann werden zwei Eigenschaften deutlich. Zum einen diffundieren gebaute Gewerbestrukturen in die Landschaft, wie beispielsweise industrialisierte Landwirtschaftsbetriebe oder Anlagen zur Produktion von Erneuerbaren Energien. Zum anderen besitzen Gewerbegebiete kaum Eigenschaften, die man einer Siedlung oder Stadt zuschreiben kann. Es sind Orte die sehr monofunktional und zeitlich eingeschränkt genutzt werden. Es ist ein Ort, der weder Stadt noch Landschaft ist.
Durch die Unterscheidung von „Produktiven Landschaften“ und „Produktiven Städten“ kann eine Einordnung von Industrie- Gewerbegebieten erfolgen. Gewerbenutzungen, die weiterhin eine Nutzungsmischung nicht zulassen oder von einem siedlungsfernen Standort profitieren würden, orientieren sich zur Landschaft. Gewerbegebiete, die sich gut in bestehende Siedlungskörper eingliedern lassen können für die Stadtentwicklung nachverdichtet werden, um die bestehende Infrastruktur besser auszunutzen und keine „neuen“ Flächen zu verbrauchen. Produktivität wird so nicht nur an einem bestimmten Ort abgestellt, sondern fügt sich in die Landschaft und die Stadt ein.