Zukunft Einfamilienhaus
Seminar – Neue Horizonte des Städtebaus
Keine Wohnform ist so populär, so heftig umstritten und in Fachkreisen so erfolgreich ignoriert wie das Einfamilienhaus. Gegründet auf anachronistischen Familienidealen, Genderrollen und Eigentumskonzepten, steht das EFH wegen massivem Material-, Energie- und Flächenverbrauch, Abhängigkeit vom Pkw und programmatischer Starrheit in der Kritik. Angesichts der Klimakrise und immer diverserer Lebensentwürfe scheinen die Traumhäuser der Boomer-Generation völlig aus der Zeit gefallen.
Doch aller Kritik zum Trotz ist das Einfamilienhaus bis heute die beliebteste Wohnform: Mehr als die Hälfte der Menschen in der Bundesrepublik lebt derzeit in einem EFH. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung wünschen sich, in einem EFH zu leben. Die mit dieser Wohnform verknüpften Bilder von Freiheit, Sicherheit und Selbstverwirklichung wurzeln so tief, dass Klimakrise und steigende Zinsen den oft beschworenen ›Traum vom Einfamilienhaus‹ kaum bändigen: Jedes Jahr werden ca. 100.000 neue Einfamilienhäuser gebaut.
Dass der Neubau grundsätzlich und radikal eingeschränkt werden muss, ist Konsens in der Disziplin. Zugleich sind Wohnungen längst auch im Umland der Ballungsgebiete knapp. Ein bedeutender Teil der Lösung kann in den 16 Millionen bestehenden Einfamilienhäusern liegen. Hier sind nicht nur beträchtliche materielle Ressourcen gebunden. Auch die Wohnfläche der Häuser birgt erhebliche Potenziale, um dringend benötigten Wohnraum zu mobilisieren: Jedes Einfamilienhaus ist im Durchschnitt mit nur 1,8 Personen belegt.
Im interdisziplinären Seminar »Neue Horizonte des Städtebaus: Zukunft Einfamilienhaus« entwickeln wir so fundierte wie überraschende Sichtweisen auf bestehende Einfamilienhaus-Gebiete jenseits des momentan üblichen und gedachten. Im EFH-Bestand sind immense materielle Ressourcen gebunden. Was sind Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit diesem Material? Das patriarchale, heteronormative Ideal der Kernfamilie und gegenderte Rollenbilder sind das strukturelle Fundament des EFH. Wie lässt sich der Bestand für vielfältigere Lebensentwürfe anpassen? Das EFH ist die architektonische Konsequenz fordistischer Ökonomie und des Versprechens endloser fossiler Energie. Wie lassen sich diese überholten Strukturen zukünftig denken? Dafür müssen wir über Haus und Gebiet hinaus auch auf eine neue Strukturierung des Alltags schauen.
Ziel des Seminars ist, anhand eines selbst gewählten Untersuchungsgebietes (einzelnes Haus oder EFH-Siedlung) ein überraschendes Transformationspotential für einen klar umrissenen, spezifischen Aspekt zu erarbeiten. Relevante Themenfelder werden in den Inputs am Anfang des Seminars aufgespannt und mögliche Fragestellungen in einem Workshop gemeinsam herausgearbeitet. In einer Analyse-Phase wird in selbstständiger Arbeit in Kleingruppen eine Problemstellung herausgearbeitet und in einer Konzeptions-Phase ein Transformationspotential entwickelt. Im Rahmen der „Urban Convention“ werden Analyse und Transformationspotential präsentiert und zur Diskussion gestellt. Die Schlussabgabe erfolgt nach einer Überarbeitung am Ende des Semesters.
Wir betrachten dafür das Einfamilienhaus auf verschiedenen Maßstabsebenen und aus verschiedenen disziplinären Perspektiven, vom Technischen bis zum Sozialen. Eine kritische Auseinandersetzung mit seinen strukturellen Grundfesten (Eigentum, Gender, Klasse) ist Grundlage des Seminars. Aufbauend auf Fallstudien- und Literaturanalyse werden wir in Zweiergruppen klar umrissenen Spekulationen nachgehen und diese in einem dritten Schritt gemeinsam zu neuen Alltagsbildern kombinieren.
Phase I: Inputs und inhaltliche Workshops mit externen Gästen
Phase II: Entwicklung eigener Haltung, Auswahl Case-Study
Phase III: Ausarbeitung Spekulation für eine konkrete Situation
Abschluss-Präsentation: Maßstab, Medien und Formate werden gemeinsam entwickelt.
Erwartet wird ein hohes Maß an eigener Initiative in der Beteiligung an den Diskussionen im Seminar, der Vorbereitung und Vorstellung eines der Grundlagentexte sowie bei der Analyse, Erarbeitung und Darstellung eines spezifischen Transformationspotential für ein selbst gewähltes Fallbeispiel. Auf eine kollegiale und reflektierte Arbeit im Team wird besonderer Wert gelegt.
Das Seminar findet in hybrider Form weitgehend in Präsenz statt, einzelne Besprechungen werden per Videocall erfolgen.
Das Seminar findet montags von 13.15-16.30 statt.
Semestertermine: 22.04.24, 29.4.24 (Exkursion, 13.15-19.00), 6.5., 13.5., 27.5., 3.6., 10.6., 17.6., 24.6. (jeweils 13.15-16.30)